Schlüssel zu Bildung

Zusammenfassung

Bildungschancen von Sinti und Roma in Deutschland
Der Titel als Metapher: Bildung ist ein Ort, ein Raum, zu dem es eine Tür mit einem Schloss gibt. In das Schloss passen unterschiedliche Schlüssel. Der Schlüssel ist die gemeinsame Vision, an der unterschiedliche Akteure mitwirken.

Dafür hat das Team von Pro Sinti und Roma Kemal Ahmed und Christine Kürti (Nachbarschaftswerk e.V.) am Donnerstag 10. November 2022 im A.-Reichwein-Bildungshaus in Weingarten Herrn Dzoni Sichelschmied mit einem Best Practice Ansatz gewonnen.

Herr Sichelschmied ist in Hamburg Bildungsbeauftragter und arbeitet an der Stadtteilschule am Hafen. Auf dem Gebiet der pädagogischen Betreuung sowie der Vernetzung mit der kommunalen Ebene ist er ein langjähriger Experte. Aus der historischen Verantwortung heraus – zur Erinnerung: 95% der Sinti und Roma in Deutschland sind im Holocaust ermordet worden – haben wir den deutschen Minderheiten gegenüber einen klaren Auftrag. Romanes könnte als deutsche Minderheitensprache anerkannt und an deutschen Schulen unterrichtet werden – so im Modellprojekt in Hamburg.

Auf dem anschließenden Podium waren die Freiburger lokalen Akteure aus Praxis, Forschung und Schulamt versammelt: Die Bildungsberaterin Samira Bajramovic, die Sozialwissenschaftlerin Natascha Hofmann und Alex Rees, Schulrat im staatlichen Schulamt Freiburg.

Der Vortrag von Dzoni Sichelschmied über den ganzheitlichen Ansatz gab den entscheidenden Impuls: Freiburg muss groß denken. Es geht in erster Linie um das Vertrauen der Sinti- und Roma- Familien. Dafür sind die Schulen als “Lebens- und Lernorte” in Hamburg ein gelungenes Beispiel: mit Elternabenden für Roma-Eltern, Mädchengruppen, Sport- und Musikangeboten und großen inklusiven Stadtteilfesten.

Die Bildungsberaterinnen sind die entscheidende Brücke für den Wissenstransfer zwischen den Familien und der Institution Schule, für vertrauensbildende Maßnahmen und als Anlaufstelle. Herr Sichelschmied machte das an einem Beispiel deutlich: “Im NS wurden Kinder aus den Schulen heraus teilweise direkt in Konzentrationslager verbracht. Die Familien haben kein Vertrauen in die Institution.” In dieser Drastik wird die Dimension plastisch. Gleichwohl betont Natascha Hofmann, dass der Fokus der Veranstaltung auf benachteiligte Sinti*zze und Rom*nja läge. Es gibt zahlreiche Bildungsbürger*innen, die sich aber nicht als Roma oder Sinti outen. Außerdem gibt es positive Aspekte und kulturelle Highlights, die mehr ins Visier der Mehrheitsgesellschaft rücken müssen, damit Vorurteile abgebaut werden.

Was muss passieren, damit so ein Projekt wie die Hamburger Hafenschule umgesetzt werden kann? Kann das staatliche Schulamt in solch ein Modellprojekt einsteigen und selbst Bildungs-Avantgarde im Ländle werden? Herr Sichelschmied machte klar: Die Stadt muss sich das Thema selbst zur Aufgabe machen.

Am Anfang steht eine Evaluation zur Situation in den Kindergärten und an den Schulen. Danach muss das kommunale Handlungskonzept zusammen mit dem Land aufgestellt werden und eine Umsetzung des Hamburger Modells erfolgen.

Die Freiburger Bildungsberaterin Samira Bajramovic wurde im Modellprojekt des Roma-Büros ausgebildet. Es besteht hoher Begleitungs-Bedarf bei einem kleinen Zeitkontingent. Es braucht ein Konzept für das Ankommen neuer Familien, das die Begleitung vereinfacht, außerdem eine feste Stelle, um Kontinuität und Absicherung zu gewährleisten.

Für die lokale Vernetzung müssen die Akteure weiterhin zusammenkommen und sich über die großen Strukturen zu unterhalten. Die Bildungsberatung ist in der Praxis ein wichtiger Baustein. Die fachliche Kompetenz muss fortlaufend aktualisiert werden durch Workshops, sagte der selbsternannte “Workshop-Junkie” Dzoni Sichelschmied. Langfristige Mittel sind die Grundlage. Der Erfahrungsschatz und Bedarfe der Sintizze und Romnja müssen mit einbezogen werden. Die Kinder und Jugendlichen brauchen außerschulische Lernorte – der Zugang muss niedrigschwellig beginnen, in Hamburg wird auch am Wochenende Disko und Programm angeboten. Teilhabemöglichkeit an politischen Entscheidungen muss sichtbar gemacht werden. In Freiburg möchten sich viele motivierte Akteure auch auf den Weg machen.

Jenny Warnecke

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